Haben Sie diesen Satz auch schon einmal gehört?
Oder diesen Ratschlag von anderen Hundekennern empfohlen bekommen?
Meist geht dieser Ratschlag mit den Hinweisen einher wie …
Du musst zuerst durch die Tür gehen!
Der Mensch muss immer zuerst essen!
Der Hund darf nicht erhöht liegen!
Du musst ein Kommando immer durchsetzen!

Liegen Hunde wirklich Nacht für Nacht wach und schmieden einen Plan wie sie die Herrschaft über die Menschen gewinnen können?
Betrachtet ein Hund seinen Menschen als Rudel?


Über fast nichts wird so viel diskutiert und gestritten wie über Dominanz, Rangordnung und Führung im Zusammenleben mit Hunden. Doch was ist wirklich dran an dem Mythos Dominanz du Führung?


Die Begrifflichkeiten
Bevor wir uns näher mit dem eigentlichen Thema dieses Artikels beschäftigen, klären wir zuerst die Definitionen der Begrifflichkeiten:

Dominanz
Dominanz ist keine feste und unveränderliche Eigenschaft bei einem Tier, sondern nur ein Aspekt einer Beziehung eines Tieres zu bestimmten anderen Mitgliedern der Gruppe unter besonderen Verhältnissen.
Quelle: Anders Hallgren – Das Alpha-Syndrom, Seite 41

Rangordnung
Als Rangordnung bezeichnet man in der Verhaltensbiologie eine Hierarchie, durch die bestimmte Rechte und Pflichten innerhalb einer sozialen Gruppe geregelt und für eine längere Zeitspanne festgelegt sind.
Quelle: Wikipedia

Führung
Führung ist eine durch Interaktion vermittelte Ausrichtung des Handelns von Individuen und Gruppen auf die Verwirklichung vorgegebener Ziele.
Quelle: Wirtschaftslexikon


Die Entstehung des Dominanzmythos
Anfang des 20. Jahrhunderts beobachtete der Norweger Schjelderup-Ebbe das Verhalten von Hühnern während des Fressens. Er stellte fest, dass die Hühner immer nach einem bestimmten Muster aufeinander einhackten.
Man nahm an, dass diese Hackordnung etwas Statisches ist. Die Rangfolge konnte also demnach nicht geändert werden, außer der Ranghöchste starb.
Dieses Verhalten wurden nun auf alle in Rudel lebende Tiere übertragen.

Die Amerikanerin Thelma Roswell stellte diese Theorie Mitte des 20. Jahrhunderts in Frage. Jedoch ist das alte Konzept bereits als Wahrheit deklariert worden.

Die Gründe dafür:

  • Das Rangordnungskonzept ist einfach und logisch. Jedes Rudelmitglied hat seinen festen Platz, was Harmonie und Frieden schafft.
  • Das Konzept hat bei vielen Hunden funktioniert. Klappte es bei einem Hund nicht, wurde angenommen, dass man nicht hart genug war.

Die Nebenwirkungen, die dieses Konzept mit sich brachte, wurden nicht als Nebenwirkungen oder als etwas Negatives angesehen:

  • Der Hund wird oft passiv. Eigeninitiative wird so gut wie gar nicht mehr gezeigt.
  • Viele Hunde kommen mit dem Druck nicht zurecht und werden leicht aggressiv.
  • Viele Hunde werden sehr unterwürfig in ihrem Verhalten gegenüber dem Menschen.

Jedes Verhalten, das ein Hund zeigte, wurde analysiert und auf die Goldwaage gelegt. Meistens wurde zu dem Entschluss gekommen, dass der Hund seinen Menschen nur dominieren will. Harte Strafen konnte aus diesem Grund sehr einfach gerechtfertigt werden.

Erst in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts entstand eine große Gegenwelle zu der Rangordnungstheorie.


Hundetraining, Dominanz und Führung
Im Hundetraining werden oft mangelnde Führung oder unklare Rangstrukturen als Grund für unerwünschtes Verhalten des Hundes genannt.
Doch hat es wirklich etwas mit Rangordnung zu tun, wenn ein Hund das schöne bequeme Sofa verteidigt oder andere Hunde an der Leine anbellt?

MERKE
Jedem Verhalten, das ein Hund zeigt, liegt eine bestimmte Motivation zu Grunde.

Verteidigt ein Hund das Sofa, so wird seine Motivation vermutlich sein, diesen Liegeplatz weiterhin beanspruchen zu können. Doch jedes Gruppenmitglied darf seinen Liegeplatz beanspruchen und auch verteidigen.

Bellt er andere Hunde an der Leine an, kann es beispielsweise sein, dass der Hund Frust empfindet, weil er zum dem anderen Hund hinmöchte, oder aber er empfindet Hundebegegnungen an der Leine als etwas Negatives (durch Lernerfahrung) und möchte das Gegenüber so auf Abstand halten.

Möchten wir unserem Hund nun ein neues Verhalten beibringen oder auch unerwünschtes Verhalten verändern, müssen wir uns immer die Motivation des Hundes anschauen. Motivation ist die Grundlage für ein Verhalten. Ein Hund tut etwas, weil es seine aktuelle Motivation befriedigt.

Motivation ist also die Voraussetzung dafür, dass Lernen überhaupt stattfinden kann. Um unserem Hund etwas beizubringen, haben wir nur wenige Möglichkeiten: entweder wir belohnen oder bestrafen ihn. Er ist also entweder motiviert etwas zu tun, weil er eine Aussicht auf etwas Positives (Belohnung) hat oder er ist motiviert etwas nicht zu tun, weil er etwas Negatives (Strafe) vermeiden möchten.

MERKE
Strafe reduziert lediglich Verhalten. Sie ändert aber nicht die grundlegende Motivation des Hundes, die ihm zu diesem Verhalten antreibt. Möchten wir Verhalten aufbauen, kann dies nur durch Belohnung geschehen.

Wird versucht, Verhalten mit Dominanz (verstehend als Härte) zu verändern, wird das Verhalten in der Regel erst einmal für kurze Zeit weniger werden. Der Hund ist darauf bedacht die Strafe zu vermeiden, er lernt dabei aber nicht, was er stattdessen tun soll. Das Symptom wurde unterdrückt, aber das eigentliche Problem nicht gelöst.

Der Hund ist in so einer Situation vergleichbar mit einem Vulkan, dem ein Deckel drauf gelegt wurde. Unter dem Deckel brodelt es wie verrückt, nur die Lava kann nicht raus. Doch irgendwann hat sich zu viel angestaut und der Vulkan explodiert.

Besser ist es auf die Motivation des Hundes zu achten und zu überlegen, welches Verhalten erwünscht ist. Auf dieses erwünschte Verhalten konzentriert, kann Verhalten sehr leicht durch positive Verstärkung in die gewünschten Bahnen gelenkt werden.


Meine Meinung zu Führung in Bezug auf unsere Hunde
Ich finde, dass den Begriffen Dominanz und Rangordnung zu viel Wichtigkeit zugewiesen wird. Im Normalfall entwickelt sich allein durch den Umgang mit dem Hund ein gegenseitiger gesunder Respekt. Man lernt das Gegenüber kennen und weiß um dessen Prioritäten.

Unser Hund lernt sich nach uns zu richten, denn wir geben vor, wann es etwas zu Fressen gibt, wann Gassi gegangen wird oder auch wann gespielt wird. Auch draußen kann das Ganze fortgeführt werden … wir geben vor wohin wir gehen, wie lange der Spaziergang andauert und auch wo der Hund hindarf (eingeschränkt durch die Leine). Wir geben also den größten Teil des Tages vor, bei dem uns unser Hund folgt.

Ich denke wir sollten uns eher als Elternteil sehen, das sich um sein „vierbeiniges Kind“ sorgt. Wir führen es durch das Leben, zeigen ihm, was erwünscht ist und was nicht. Wir fördern gutes Verhalten und bringen im Vertrauen und Respekt entgegen. Wir sind ihm gegenüber höflich und verständnisvoll, auch wenn einmal etwas nicht so klappt wie vorgestellt.

Letztendlich sollten wir uns alle, vor allem in Bezug auf unsere Hunde, an das Zitat von Henry Miller halten:
„The real leader has no need to lead – he is content to point the way.”
“Der wahre Führer braucht nicht zu führen – er ist zufrieden, den Weg zu zeigen.”


Zum Weiterlesen

 

Quellen: Anders Hallgren – Das Alpha-Syndrom