Erst Kinder, dann Hund. Das war vor 30 Jahren eine gängige Empfehlung. Heute geht der Trend dahin, dass Pärchen sich noch vor dem ersten Kind für einen Hund entscheiden – quasi als Testlauf für die gemeinsame Erziehungsarbeit. Wenn sich dann das erste Baby ankündigt, fragen sich die jungen Familien: Wie wird das werden mit unserem Hund? Wird er das Baby akzeptieren? Und später: Wie wird der Alltag zwischen Hundezone, Krabbelgruppe, Hundeschule und Kinderspielplatz?

Kann man den Hund auf ein Baby vorbereiten? „Geburtsvorbereitung“ für Hunde – gibt es so etwas?

Schwangere merken, dass bestimmte Verhaltensweisen ihres Hundes, die bisher kaum gestört haben, nun ein anderes Gewicht – im wahrsten Sinne des Wortes – bekommen. Der Babybauch führt dazu, dass sich der Körperschwerpunkt weiter nach oben verlagert; das Gleichgewicht wird wackeliger. Besonders bei Glatteis oder nassem Boden kann da Leinenzerren richtig unan- genehm oder sogar gefährlich werden. Ein anderes Beispiel sind stürmische Begrüßungen, bei denen der Hund mehrfach gegen den Babybauch springt.

Noch etwas ändern?
Gibt es etwas an Ihrem Hund, das im letzten Schwangerschaftsdrittel oder mit Baby im Arm oder im Kinderwagen störend werden könnte? Gibt es Gewohnheiten, die durch das Baby ver- ändert werden sollen? Viele Mütter möchten während der Stillzeit den Hund nicht mehr bei sich im Bett schlafen haben. Da ist es sinnvoll, wenn der Hund schon während der Schwangerschaft seinen neuen Nachtplatz zugewiesen bekommt. Kann Ihr Hund ein Platz-Bleib befolgen, auch wenn Sie eine Puppe im Arm halten? Kann er das Platz-Bleib lange genug halten, sodass Sie ungestört eine Windel wechseln können?

Die gute Nachricht ist: Neun Monate Zeit zu üben reichen in den allermeisten Fällen aus um Manieren aufzupolieren oder neu zu erarbeiten. (Kürzung 1: Das Feilen am guten Benehmen Ihres Hundes klappt am besten über positive Verstärkung. Das hat nichts zu tun mit Drill oder Dressur – Sie werden sehen: Ihr Hund wird die neu gewonnene Trainingszeit als Qualitätszeit mit Ihnen genießen. Je besser seine Manieren sind, desto harmonischer wird die Babyzeit und desto leichter lässt sich der Hund in den Alltag integrieren, was wieder dem Hund zugute kommt – eine positive Spirale.)

Nehmen Hunde eine Schwangerschaft überhaupt wahr? Wird unser Hund eifersüchtig sein, wenn das Baby kommt, und was können wir dann machen? Kann der Hund allein daheim blei- ben, wenn die Wehen einsetzen, oder brauchen wir einen Hundesitter? Und ganz oben auf der Fragenliste der Eltern steht: Wie gestalten wir die allererste Begegnung zwischen Baby und Hund?

 

Elternbildung auf vier Kontinenten durch 200 Vortragende weltweit

Mit all diesen Fragen befasst sich Dogs & Storks, ein Elternbildungsprogramm aus den USA, das seit vielen Jahren erfolgreich in Amerika, Australien, Asien und Europa läuft und auch in Österreich (seit 2013), Deutschland (Programmstart Februar 2014) und der Schweiz (Pro- grammstart 3. Quartal 2015) angeboten wird – auf Deutsch sogar kostenlos. Für Schwangere, die zu weit von einem Vortragsort weg wohnen oder aus medizinischen Gründen nicht so lange sitzen dürfen, gibt es die Möglichkeit, den Vortrag als live-Webinar zu hören. Das ist ein Vor- trag über Internet; auch hier gibt es die Möglichkeit, Fragen an die Vortragende zu richten. Der Vortrag für Schwangere, genau wie das Folgeprogramm The Dog & Baby Connection für Eltern von Kindern im Alter zwischen drei Monaten und drei Jahren, basieren auf Verhaltenswissen- schaft, modernem Tiertraining und multidisziplinärer wissenschaftlicher Analyse von Bissverletzungen.

Die Programme wurden von Jennifer Shryock entwickelt. Sie ist zertifizierte Verhaltensberate- rin für Hunde durch die International Association of Animal Behavior Consultants und blickt auf über ein Jahrzehnt als professionelle Verhaltensberaterin für Hunde zurück. Sie hat einen Uni- versitätsabschluss in Sonderpädagogik und ist Stillberaterin. Jennifer Shryock befasst sich seit über zwölf Jahren mit Hundebissprävention. Sie lebt mit ihrem Mann, ihren vier Kindern und vier Hunden in Cary, North Carolina. Sie sagt: „Ich möchte Elternbildung zum Thema Hund und Kind für Familien zugänglich machen, um Probleme zwischen Hund und Kindern gar nicht erst entstehen zu lassen. Ich hoffe, dass sich Eltern über Sicherheit im Alltag mit Hund und Kind bald überall auf der Welt bei Fachleuten wie unseren lizenzierten Vortragenden informieren können wie zu vielen anderen Themen der Baby- und Kindersicherheit.“

Nur hoch qualifizierte, gewaltfreie, erfahrene Hundetrainer erhalten eine Lizenz – denn das sind die Menschen, die während der Vorträge Fragen der Eltern zu individuellen Problemen zwischen Hund und Kind beantworten. Das sind auch die Menschen, die bei schweren Problemen zwi- schen Hund und Kind Eltern nach dem Vortrag praktisch zur Seite stehen. Alle Vortragenden haben Mentoring oder andere Bildungsmaßnahmen speziell für Familienhunde durchlaufen und können weiterhelfen, wenn ein Theorievortrag für eine Familie nicht ausreichend ist – in Kursen oder im Einzeltraining (Verhaltenstraining). Wenn Sie sich so große Sorgen um Ihren Hund ma- chen, dass Sie eine Abgabe erwägen, sollten Sie unbedingt den Hund vorher von einer Fach- frau des Trainernetzwerks (www.familiemithund.info) ansehen lassen. Was der betroffenen Familie als unüberwindliches Hindernis erscheint, lässt sich sich oft in wenigen Trainingsstun- den lösen.

Die Vorträge sind keinesfalls nur für „Problemhunde“ gedacht, sondern für wirklich jede Familie mit Hund. Sie kommen bei allen Hundehaltern vom Zwergpinscher- bis zum Rottweilerbesitzer sehr gut an. Die Feedbackbögen nach allen Veranstaltungen im Jahr 2013 waren noch besser als erhofft. „Am besten hat mir gefallen, dass der Vortrag sehr praxisbezogen war,“ haben mehrere Schwangere geantwortet, eine andere schrieb: „Am meisten mochte ich den lebendi- gen Einblick in den zukünftigen Alltag mit Baby und Hund.“

„Wir haben den Biss nicht kommen sehen.“

Das ist der Satz, den die allermeisten Eltern und Hundebesitzer nach einem Bissunfall mit ei- nem Kind sagen. Selbstverständlich haben sie das nicht. Hätten Sie kommen sehen, dass der Hund ein Problem mit der Situation hat, hätten sie den Unfall verhindert – etwa durch Auflösen der Interaktion. 100% wachsame Beaufsichtigung von Hund und Kind durch einen Erwachse- nen wird vielfach empfohlen. In einer Laborsituation ist das leicht, bloß leben wir mit unseren Schul-, Kindergarten- und Krabbelkindern nicht im Labor, sondern in der echten Welt im realen Alltag – da gibt es immer Überraschungen. Dazu kommt noch, dass die Anwesenheit eines Er- wachsenen allein Unfälle nicht verhindern kann, wenn die Aufsichtsperson nicht weiß, wonach sie Ausschau halten muss. Dass Hunde Unmut durch Knurren oder Zähnezeigen kundtun, weiß hoffentlich jeder Hundehalter – das würde in Menschensprache etwa einem „jetzt reicht‘s aber! Lass mich!“ entsprechen. Klar kann ein Hund nicht sagen: „Liebe Anna, bist du so lieb und lässt mich jetzt mal ein paar Minuten schlafen? Ich bin ehrlich müde, später lasse ich mich gern wieder von dir streicheln.“ Dennoch senden auch Hunde subtile Stressignale, bevor sie deutlicher werden. Über diese Signale zu lernen, sie auf Bildern und in Filmsequenzen zu er- kennen üben und lernen, wie man adäquat darauf reagiert, ist wichtiger Bestandteil der Eltern- bildungsprogramme. Die Feedbackbögen nach den Vorträgen lassen die Schlussfolgerung zu, dass der Vortrag einen Anteil zu mehr Sicherheit in Familien geleistet hat, etwa weil viele Fami- lien angaben, überhaupt zum ersten Mal von subtilen Stressanzeichen von Hunden in Interak- tionen mit Menschen oder Kindern gehört zu haben. Eine Mutter schreibt: „Ich habe gelernt, dass ich meine Erwartungshaltung bezüglich Toleranz des Hundes gegenüber dem Baby redu- zieren muss – entgegen der weit verbreiteten Meinung, der Hund müsse sich von Kindern alles gefallen lassen.“

Für die Zeit, in der kein Erwachsener aktiv Kind und Hund beaufsichtigen kann, sollte man sich Management-Maßnahmen überlegen, sodass Hund und Kind keinen freien Zugang zueinander haben. Das kann man durch Raumabtrennungen, Kindergitter, Boxen und vieles mehr errei- chen. Wichtig dabei ist, dass der Hund nicht „weggesperrt“ wird, sondern lernt sich in seinem Rückzugsort zu entspannen. So wird kinderfreie Zeit für den Hund eine Oase der Ruhe, um später wieder für gemeinsame Aktivitäten fit zu sein.

Wie ist Ihr Plan?
Das Baby spielt mit Bausteinen im Wohnzimmer, der Hund liegt daneben. Es läutet an der Tür. Wen nehmen Sie mit: Hund oder Kind? Ihr Sohn ist in der Wiege eingeschlafen. Sie möchten die Zeit nutzen und am Computer arbei- ten, sodass Sie mit dem Rücken zu ihm und Hund sitzen. Schicken Sie den Hund aus dem Raum? Oder rollen Sie lieber die Wiege aus dem Zimmer und schließen eine Tür, während der Hund bei Ihnen im Zimmer bleibt? Oder leinen Sie den Hund am Schreibtisch an, damit Sie merken, wenn er sich neugierig und auf leisen Sohlen Richtung Kind aufmacht? Ihr Baby liegt auf seiner Decke im Wohnzimmer, während Sie den Geschirrspüler einräumen. Schicken Sie den Hund derweil in seine Box mit einem Kauknochen? Welche Möglichkeiten gibt es noch? Es kommen mehrere Babys mit Müttern aus der Krabbelgruppe zu Besuch. Was machen Sie in der Zeit mit dem Hund? Bedenken Sie dabei auch die Wohlfühl-Zonen der anderen Mütter. Nicht jede schätzt es, wenn Ihr Hund über ein Baby steigt, oder findet es süß, dass Ihr Hund Schnuller abschleckt.

Spätestens ab dem Alter von neun Monaten beginnt Ihre Doppelrolle: Sie sind nun Hundeer- zieher und Kindererzieher. Kleinkinder brauchen viele, viele Wiederholungen, bis Regeln zu Gewohnheiten werden. Stellen Sie sich drauf ein, dass Ihr Kleinkind nicht nach der ersten Er- klärung zuverlässig befolgen wird, nicht auf oder in den Rückzugsort Ihres Hundes zu krabbeln. Es ist Ihre Aufgabe als Mutter oder Vater, daran tausendfach zu erinnern: in Worten und auch dadurch, dass Sie Ihr Kind rechtzeitig vor dem Rückzugsort des Hundes stoppen. Achten Sie darauf, dass Ihr Kind den Hund nicht verfolgt oder stört; wenn Sie eine Interaktion mit Hund und Kind beginnen wollen, laden Sie den Hund in die Situation ein (nicht umgekehrt). Erlauben Sie Ihrem Kind niemals Zugang zur Futterschüssel oder Spielsachen des Hundes.

 

Rasse und Herkunft

„Unser Hund ist aus dem Tierschutz oder steht auf der Liste der gefährlichen Rassen – heißt das automatisch, dass wir ihn abgeben müssen?“ – Klares Nein. Nur weil Ihr Hund seine Wel- penzeit anderswo verbracht hat, muss er bei Familienzuwachs nicht sein Zuhause verlieren. Ob ein Hund gefährlich ist, entscheidet nicht seine Rasseangehörigkeit, sondern sein Gesundheits- zustand, seine Bissgeschichte (in Menschen oder Hunde), seine individuelle Reizschwelle, seine individuellen Erfahrungen mit Kindern, seine Stressresistenz und vieles mehr.

So mache Marketingstrategien von Zuchtclubs führen zu Scheinsicherheiten. Bei Vorträgen hö- ren wir immer wieder: „Mein Hund ist ein … Da kann ja sowieso nichts passieren, die sind ja alle kinderlieb.“ Ganz sicher ist, dass Ihr Hund nur kinderlieb bleiben wird, wenn Sie seine Be- lastbarkeitsgrenzen achten und Ihren Kindern lehren, diese Grenzen zu achten.

 

Aufklärung und gezielte Vorbereitung machen den großen Unterschied
Psychologen, Pädagogen und Mediziner sind sich einig über die positiven Auswirkungen des Aufwachsens mit Hunden auf Kinder. Niemand kann so gut zuhören wie ein Hund, niemand kann Tränen so gut trocknen wie ein Hund, über kein anderes Thema kommt man leichter ins Gespräch als über Hunde und niemand kann einen nach einer verpatzten Schularbeit besser wieder aufrichten als ein Hund. Als Kind einen Begleiter auf vier Pfoten an der Seite zu haben ist für viele Erwachsene rückblickend immer noch ein großer Schatz und für Menschen wie mich, die nicht das Glück hatten mit einem Hund aufgewachsen zu sein, ein geplatzter Kind- heitstraum.

In Österreich sind Bissverletzungen sehr, sehr selten im Vergleich zu anderen Verletzungsme- chanismen. Trotzdem ist jeder Biss einer zuviel, denn er tut nicht nur weh, sondern macht auch Angst vor Tieren. 82 % der Bisse in Österreich passieren mit einem Hund, den das Kind kennt, meistens zuhause und nicht auf der Straße. Daher lässt sich der Großteil der Bisse we durch Leinen- oder Maulkorbzwang, noch durch Rasselisten verhindern. Bei 74 % der Fälle ging eine Interaktion zwischen Kind und Hund dem Biss voraus. Wenn wir Kinder schützen und Bisse verhindern wollen, müssen wir also überlegen, wie wir die Interaktionen zwischen Kind und Hund sicherer gestalten können. Aufklärung macht einen großen Unterschied! Eltern sollten einen restpektvollen Umgang mit ihrem Hund und klare Regeln für den Hund vorleben und ler- nen, dass Gewalt in der Erziehung zu einem gehorsamen, zuverlässigen Hund völlig überflüssig ist. Kinder sollten lernen, dass Hunde Schmerzen fühlen wie wir und Hunde-Bedürfnisse haben. Sie sollten üben, wie man einem Hund sicher begegnet, und erfahren, was er mag und nicht mag. Eltern ohne Hund sollten ihren Kindern sicheren Umgang mit Hunden lernen lassen, etwa im Rahmen von Schulhundeprojekten. Hundehalter sollten ruhiges Verhalten ihres Hundes rund um Kinder fördern und Gehorsam mit gewaltfreier Erziehung üben, üben, üben – nur wenn ein Hund lenkbar ist, können Kinder ihre Angst vor ihm ablegen. Sie sollten ihre Welpen achtsam mit Kindern jeden Alters sozialisieren, besonders wenn im eigenen Umfeld keine klei- nen Kinder sind. Hundetrainer sollten bei all diesen Zielen helfen (4 Punkte für Hundetrainer: http://familiemithund.info/Mitmachen.html).

Weniger Beißunfälle führen nicht nur zu weniger verletzten und verängstigten Menschen, son- der auch zu weniger eingeschläferten Hunden wegen Problemen in der Familie, weniger Abga- ben in den Tierschutz, weniger harten Fronten zwischen Hundehaltern und nicht-Hundehaltern und mehr Integrationsmöglichkeiten von Hunden im Familienalltag.

Medienberichte über Beißunfälle helfen nicht. Bildung hilft.

 


Eine Liste der lizenzierten Vortragenden, Vortragsorte und -termine finden Sie auf www.familiemithund.info. Es werden auch Webinare auf Deutsch angeboten für Schwangere, die aus medizinischen Gründen nicht an einem Vortragsabend teilnehmen dürfen oder zu weit von einem Vortragsort entfernt wohnen.

Für mehr Information besuchen Sie bitte unsere Website www.familiemithund.info oder melden Sie sich für einen Vortrag über die Website an.

Bisstatistik nach Schalamon et al. Pediatrics 117/3, 2006